Hölle - was ist Hölle, existiert sie?
Der Begriff „Hölle“ geht für mich nicht ausschließlich mit Religiosität einher. Hölle heißt für mich nicht eine von Teufeln beherrschte Unterwelt, denn Höllen gibt es genug auf der Erde, daher
rührt mein Bildtitel „living hell“. Hölle sehe ich als etwas, dass Menschen anderen Menschen und auch sich selbst bereiten. Kriege, Terroranschläge, Folterungen, Amokläufe, Morde,
Vergewaltigungen, Wahn, Hass, Verstümmelungen, Selbstverstümmelungen, Depressionen und bodenlose Angst: das alles war schon immer in irgendeiner Ausprägung Bestandteil der existierenden Welt,
prägte und prägt menschliches Leben.
Einerseits möchte man am liebsten die Augen davor verschließen, weil die geballten und immer wieder gerade von den Medien zur Schau gestellten Grausamkeiten schier unerträglich sind, andererseits
haben „Sex und Crime“ schon immer zum Amüsement beigetragen. Es ist ja keineswegs zu leugnen, dass sich im Laufe der Zeit Wirtschaftsunternehmen daraus entwickelt haben. Und unentwegt wird an
unserer grausamen und atemberauschenden Unterhaltung weiter gestylt. Ebenso haben sich Höllengräuel unversehens mehr und mehr in den Alltag gemischt; leise Grausamkeiten fressen im Verborgenen
immer weiter wie Rost: Mobbing, Frust, Vernachlässigung, Lieblosigkeit, Gefühlskälte, Einsamkeit.
Welche Positionen kann Kunst beziehen und sollte sie überhaupt so etwas wie Position beziehen? Ein Maler zeigt in jedem Bild etwas von sich selbst, ureigene Gefühlen, Ängste, Glück und Schmerz
und spiegelt damit gleichzeitig Vorstellungen der Jetztzeit. Das Mittelalter, mit seinem christlich geprägten Weltbild, brachte einprägsame Gemälde von Himmel und Hölle hervor. Die Bilder des
niederländischen Malers Hieronymus Bosch (ca.1450-1516) mit ihren eigenartigen Fabelwesen, Mischgestalten, Bestien und Dämonen, welche die Menschen quälen wirken auf mich rätselhaft, abstoßend
und anziehend zugleich. Ebenso geht es mir mit den dargestellten Dämonen (Versuchung des Antonius, Isenheimer Altar, dritte Schauseite, linker Flügel) des deutschen Malers Matthias Grünewald
(ca.1470-1528). Beide setzen sich mit Begierden, Lastern, Trieben und Leidenschaften der Menschen auseinander, symbolisieren diese als Tiere, Mischwesen oder Bestien.
Diese Bilder könnten einem expressiven Fantasiefilm entnommen sein, sie sind faszinierend. Mit dem ausgehenden 13. Jahrhundert wird die Angst der Menschen zum Hauptthema. Hölle, Angst vor Pest,
Mörderbanden, Sünden und Laster werden dargestellt. Im 15. Jahrhundert bildet vorwiegend die Angst, als das alles beherrschende Lebensgefühl den Bezugspol für künstlerischen Ausdruck.
Im Phänomen dieses beherrschenden depressiven Lebensgefühls sehe ich erstaunliche Parallelen zur heutigen Zeit des 21. Jh. Folgt man Berichten der Medien befindet sich die Hölle gleich nebenan:
Unvorstellbar und doch bittere eine Tatsache ist, dass beispielsweise in reichen Ländern Kinder hungern, gequält und missbraucht werden. Unvorstellbar, dass Schüler, junge Menschen andere
Menschen malträtieren, auf Wehrlose einschlagen, Schusswaffen benutzen und Menschen abschlachten.
Mich befallen immer wieder konkrete und uneingestandene Ängste, Schatten, Alpträume, die ich malend zu bekämpfen versuche. Das bedeutet für mich: einen Ausdruck für schemenhafte Empfindungen zu
finden und heißt für mich auch: immer wieder neu ansetzten, hinsehen statt wegsehen, fühlen statt abstumpfen.
Meine Malerei auf schwarzes Vlies erhob das Dunkle und Diffuse des Bildträgers zum Ausgangspunkt: ein halbtransparentes schwarzes Gespinst aus dünnen Polyesterfäden, welches den Farbauftrag von
Acrylfarbe auf die Rückseite durchschlagen lässt. So erscheint das gemalte Bild auf der anderen Seite spiegelverkehrt. Die Formen ziehen sich hier zu Farbflächen zusammen, die zu flackern
scheinen, an Kirchenfenster erinnern. Meine Bilder werden zu Installationen, frei im Raum hängend, vom Betrachter begehbar.