Chamäleon

Ich habe einmal meine Bildideen mit Blasen verglichen, die aus der Tiefe empor sprudeln. Naturgemäß sprudelt es jedoch nicht immer einfach so drauf los. Manchmal bewegt sich wochen oder auch monatelang gar nichts. Vieles hat direkt mit den unmittelbaren Lebensumständen zu tun. Es gibt Zeiten, da ist man geschockt wenn etwas Schlimmes passiert oder man unendlich traurig ist. Wie kann ich denn etwas fühlen und daraus etwas Kreatives entstehen lassen, wenn mir buchstäblich der Boden unter den Füßen weggerissen wird? Manche Kunstschaffende können das, ich nicht. Nach dem Tod meines Sohnes Felix war ich wie gelähmt. Mein Leben und meine Malerei mit all den aktiven Phasen des Schaffens sind eng miteinander verwoben. Die Malerei ist immer auch ein Geländer für mich. Felix Tod war einer der Auslöser für das Bild „Las Meninas“. Die Umsetzung erfolgte durch Zeichnen, Ausprobieren, Verwerfen und Neustart. Die aufwendige Maltechnik war dem 5-teiligem Bild, das zu einem Paravent wurde (und in dessen Mittelpunkt ein als Prinzessin verkleideter Felix steht) angemessen. Ich benutzte eine recht flüssige Temperafarbe, um Hell-Dunkelkontraste zu verstärken und trug schichtenweise, fein lasierend in etlichen Lagen Ölfarbe auf. Schicht für Schicht Farbe auftragen bedeutete gleichzeitig ein sich Annähern und ebenso eine Verarbeitung von Trauer und Verlust. In diesem Bild, das kompositorisch zwar an Diego Velázquez 1656 entstandenem Ölbild „Las Meninas“ angelehnt ist, geht es um Verkleidung, um Rollenspiel. Auf diesem Bild ist nichts so wie es scheint. Ich habe Geschlechterrollen bewusst vertauscht, ebenso die Rollen der Hoffräulein. Im Ausgangswerk von Velázquez ist eine Zwergin mit großem Kopf Beiwerk, eine Randfigur, ein Mensch der von der Norm abweicht. In meinem Werk ist es die Zentralfigur der Prinzessin, mit ihrem glänzenden Kleid, die bei näherem Hinsehen von der Norm abweicht. Ihr gab ich Gesichtszüge meines behinderten Sohnes Felix, ebenso malte ich seine Hände und sein strahlendes Lächeln.

Ein großes grüngelbes Chamäleon habe ich auf einen grünen Zweig rechts unten platziert. Es wurde zum Grundmotiv weiter Arbeiten. Dieses urzeitliche Tier steht symbolhaft für die ganze Farbenpracht und Vielfalt von Malerei und Leben. Es passt sich optimal seiner Umgebung an, vermag - je nach Stimmung - innerhalb nur weniger Minuten seine Farben zu wechseln. Für mich spielt beim Malen die Farbe Blau eine wichtige Rolle. Mit Blau erzeuge ich eine kühle Stimmung, diese Farbe symbolisiert Abstand, Weite, Sehnsucht, Freiheit.

Als ich im Züricher Regenwaldhaus Chamäleons sehen wollte, habe ich sie erst gar nicht gesehen. Nicht weil sie nicht da waren, sondern weil sie so gut mit ihrer Umgebung verschmolzen waren. Der erste Blick reicht häufig nicht aus. Mitunter ist etwas nicht so wie es scheint. Man sollte besser mehrfach hinsehen, um etwas umfassend wahrzunehmen und zu beurteilen. Man verlässt so die Oberfläche, geht ein paar Stufen tiefer und entdeckt scheinbar Verborgenes. Doch man braucht Zeit dafür! Leider hat man oftmals grad` keine Zeit!

Das „Sich-Zeit-nehmen“ und „genau-hin- zu-schauen“ ist unendlich wichtig!