Lebenszeit


Mir drängen sich von Erinnerungen gespeiste Bilder auf, während ich an einem 5 – teiligem Lebenszyklusbild male. Reale Erlebnisse führten zu den Motiven beim Ölbild „Abschied“, das letzte Bild der Serie. Meine persönlichen Erfahrungen, die ich mit dem Verlust von Menschen, die mir sehr nahe standen, gemacht hatte, ließen Bilder reifen. Ich fertigte wieder und wieder Skizzen über Särge an. Der Sarg nahm in verschiedenen Arbeiten einen zentralen Platz ein. Als dann im November der 18-jährige Sohn meines Freundes seinem Leben ein Ende setzte, fragte ich mich, ob nicht sowieso alles total sinnlos sei: War nicht unsere menschliche Existenz, ein Tanz ohne Zweck und Ziel? Schmerz und bodenlose Traurigkeit holten mich ein. Der Sarg meines Abschiedbildes ist gleichzeitig auch ein Boot. Ich bildete Kompositionsformen, um einen Mast darzustellen und die kippenden Formen bildeten gleichzeitig die Segel. Die Umrisse einer menschlichen Figur, die im Sarg ruht, verhüllt ein Laken. Ineinander gefaltete Hände sind angedeutet. Oberhalb dieser verhüllten Figur ist ein altes Gesicht mit geschlossenen Augen zu sehen. Die Formen des Sarges und meines Bootes spiegeln sich im Untergrund wieder. Reflexe deuten Wasser an. Ich sehe einen Fluss, der das Pulsieren des Lebens symbolisiert, alles verändert sich immerzu.
Im „Wasser“ spiegeln sich Formelemente des Sarges und Menschen. Es spiegelt sich jedoch nicht das alte Gesicht. Es tauchen ein Kindergesicht und eine Kindergestalt auf. Geburt und Alter bedingen einander, sind Teil eines ewigen Lebenszyklus, hier schließe ich den Bogen zum Ausgangsbild meiner 5-teiligen Bilderserie „Geburt“. Bei der Farbgebung überwiegen vorwiegend ein Blau und ein dunkles Blaugrau, unterbrochen von fahlem Fleischocker, lila, rot und türkisgrün.

Das Bild lebt insgesamt von einem starken hell – dunkel Kontrast. Das Boot, welches mit metallisch schweren Segeln bestückt ist und mit ebenso Körpern beladen ist, gleitet ins Helle. Über ihre Gespräche mit Strebenden und in ihrem Buch: Über den Tod und das Leben danach  „Die Silberschnur (1992)“ schrieb E. Kübler-Ross, dass Sterbende berichtet haben, am Ende einer Art dunklen Korridors helles Licht zu sehen.


Mit der Arbeit an dieser Bilderserie versuche ich einen bildnerischen Ausdruck für  Gefühle von Trauer und Hilflosigkeit zu finden. Das letzte Bild „Abschied“ über den Tod ist nicht ein Schrei des Entsetzens über die Unabänderlichkeit. In die Auseinandersetzung mit dem Sterbenmüssen fließt Akzeptanz. Diese Akzeptanz – trotz aller Verzweiflung über den Verlust – erwächst aus dem Versuch, das ganze Leben existentiell zu begreifen und es anzunehmen. Akzeptieren heißt für mich, nicht nur passive Hinnahme, weil uns Menschen gar nichts anderes übrig bleibt, sondern es heißt, die positive Annahme und Gestaltung im Rahmen unserer persönlichen Möglichkeiten. Beim Malen, beim Betrachten und sich-einlassen-können scheint mir, dass die Zeit stehen bleibt und ich einen Hauch von Ewigkeit spüre.  Lörrach, November 2003